Entstanden Mitte 2017, startete die Reise noch unter dem Namen „Latin-Jazz Sinfónica!“ als Programm der Neuen Philharmonie Berlin gGmbH, das von Julia H. M. Diederich ins Leben gerufen und zusammen mit Dirigent Andreas Schulz und Arrangeur Christoph König umgesetzt wurde. Die erste Tour im Frühjahr 2018 stand noch ganz im Zeichen des Latin-Jazz und das Programm füllte für Orchester arrangierte Werke von Paquito D’Rivera, Pat Metheny, Dave Grusin, Matthias Anton und Heiko Gottberg, das König für das damals noch 66 Musiker große Orchester arrangierte. Dirigent Andreas Schulz brachte seine jungen, stellenweise noch im Studium befindenden Orchestermusiker in das Projekt, Diederich einige ihrer langjährigen Kollegen aus dem Jazz: Matthias Füchsle (dr), Nico de Haen (p), German Klaiber (b), Maxim Zettel (perc), Heiko Gottberg (git), die beiden Trompeter Christian Ehringer und Thomas Hilbert und die drei Saxophonisten Matthias Anton, Tom Timmler und Holger Rohn. Der dritte Trompeter und die Posaunisten kamen von der Philharmonie, ebenso der klassisch-brasilianische Perkussionist Eduardo Mota.
Die Tour war in gewisser Weise ein Testlauf, denn Diederich wollte herausfinden, ob ihre Idee, Latin-Jazz mit Orchester zu spielen, wirklich immer noch das war, was sie wirklich wollte oder ob sie nur einem alten, nicht in Erfüllung gegangenem Wunsch von 2007 nachhing. Ihre im Jahr 2002 gegründete „Afro Cuban City Big Band“, sollte damals eigentlich noch durch ein voll besetztes Sinfonieorchester erweitert werden, wozu es aber nicht mehr kam, da sie nach einer invasiven Untersuchung an der Halswirbelsäule im Januar 2007 viele ihrer Grundfähigkeiten erst wieder erlernen musste. Die Big Band zerbrach. Der andere Grund für die Tour war, dass sie prüfen wollte, ob die Besetzung passte, sollte sie an einer Weiterführung eines Latin-Orchesters festhalten wollen.
Diese kleine, erste Tour brachte einige Erkenntnisse. Eine davon war, Latin-Jazz Sinfónica erst mal gesellschaftsrechtlich von der Neuen Philharmonie zu trennen und eigenständig zu machen. Oktober 2018 wurde LJS dann zur GmbH ins Handelsregister mit Diederich als alleinige geschäftsführende Gesellschafterin eingetragen. An der Besetzung änderte sich erst einmal nichts, denn kurz danach ergab sich für Latin-Jazz Sinfónica eine kurze, aber sehr intensive Zusammenarbeit mit dem kubanischen Pianisten Ramon Valle und dessen Trio (Jamie Peet an den Drums und Omar Rodriguez Calvo am Bass), die beide Gruppen für ein gemeinsames Konzert zum 50. Jubiläum der internationalen Jazzwoche Burghausen (by) auf die Bühne der Wackerhalle brachte.
Das bis auf den letzten Platz besuchte Konzert wurde live im BR-Fernsehen übertragen und von Gitarrist Al di Meola eröffnet. Erst weit nach Mitternacht endete die Jubiläumsnacht mit Standing Ovations für Latin-Jazz Sinfónica feat. Ramon Valle Trio. Das Programm in dieser Nacht bestand nun aus Eigenkompositionen des Pianisten Valle, Ch. König, M. Anton, H. Gottberg und Diederich. Besonders die Komposition von Ch. König „little Waltz in Five“ hinterließ bei der Orchesterleiterin einen bleibenden, tief gehenden Eindruck und erinnerte sie an einen Klang, den sie während ihres Studiums immer wieder in ihrem Inneren hörte: Jazz mit sinfonischen Bögen, erweitert mit Anteilen aus der Weltmusik, die streckenweise eine filmisch-epochale Stimmung erzeugten.
Ihre eigenen beiden, kleinen Kompositionen wichen 2019 vom Musikstil Latin-Jazz bereits ab, was verdeutlichte, dass die Idee von einem Latin-Jazz-Orchester tatsächlich ein Übrigbleibsel von damals war. Sie ging der Musik in ihr noch genauer auf den Grund, denn ihr Ziel war klar: einen eigenen, neuen Orchestersound mit Eigenkompositionen erschaffen, in der die Orchestermusiker nicht zur Deko der Jazzmusiker werden, sondern ein unverzichtbarer Teil des Ganzen sind. Dass sie keine bekannten Titel aus der Klassik, dem Latin-Genre oder aus dem Jazz verarbeiten und in ein Orchestergewandt stecken würde, war auch klar.
Das Burghausen-Konzert brachte Erfolg, aber auch die Erkenntnis, dass die aktuelle Besetzung zwingend angepasst werden musste, denn die Gründerin plante für Sommer 2020 eine CD aufzunehmen. Besonders der Mix bei den Blechbläsern – ein Teil aus der Klassik, ein Teil aus dem Jazz – funktionierte nicht. In Hinsicht auf die Einspielung des ersten Albums mit dem Namen „Kaleidoskop“ strukturierte Diederich das Orchester neu und trennte die Blechbläser vom Orchester, formierte einen Big Band-Bläsersatz und gewann dafür Uli Röser (tb), Marc Roos (tb) und Fabian Beck (bp) und Jens Müller als dritten Trompeter. Nun klang das ganze schon stimmiger, klarer und deutlich kompakter. Die Anzahl der Musiker wurde auf 57 heruntergefahren. Ihre Kompositionen zeigten bei den Stücken „The secret Story“ und „Carissimo“ nun immer mehr ihre musikalische Handschrift. In „The secret Story“ nahm sie einige kubanische Instrumente und Rhythmen, adaptierte sie aber in die Streicher und Orchesterbläser, kombinierte sie mit einer Synthie Gitarre aus dem Jazz und ließ in der Mitte Platz für ein auf Dirigat gespieltes Viola-Solo. Kurz vor Ende des Stückes baute sie eine filmisch wirkende Stimmung ein. „Carissimo“ kam komplett klassisch daher und lieferte ein großes, klassisches, modernes Klavierkonzert, das sie in enger Zusammenarbeit mit Komponist Christian D. Dellacher schrieb.
Es war die Corona-Pandemie, die ab März 2020 alles lahmlegte und alle Pläne über den Haufen warf, denn dieser Virus hatte nicht nur massenhaft Schäden an der Gesundheit vieler Menschen angerichtet, sondern auch in der gesamten Wirtschaft. Einen Bereich traf es besonders hart: Die Kultur, denn die stand schon vorher auf wackeligen Beinen und hustete vor sich hin. Mit dem Beginn der Pandemie brach sie dann komplett zusammen. Diederich dazu: „Wenn mehrere kleine Unternehmen husten, bekommt die gesamte Wirtschaft irgendwann Grippe und schwächt ihr Immunsystem“. Gemeint waren die vielen Künstler, Veranstalter, Tontechniker, Tonstudios, Musikschulen u. s. w., die stellenweise voneinander abhängen und die, wenn sie keine Rücklagen gebildet hatten, von der Pandemie überrollt wurden und große Mühe hatten, sich zu halten. Ob sie sich davon jemals wieder erholen würden, stand damals noch völlig in den Sternen. Zwar brachte die staatliche Corona-Hilfe etwas Linderung, um eine drohende Insolvenz abzufangen, aber auch das half nur bedingt. Diese Hilfe kam aber auch nicht von Anfang an, sondern erst, als unzählige Kleinunternehmer, darunter Musiker, massiv in Not gerieten, zum Sozialamt liefen und um Hilfe baten. Anfangs rieten die Ämter den Hilfesuchenden, ihr Instrument zu verkaufen, um wieder liquide zu sein, was das Leid noch verschlimmerte.
Durch das Auftritts- und Unterrichtsverbot verloren in dieser Zeit viele Musiker ihre Existenzgrundlage, einige überlebten das Virus nicht und wieder andere kamen völlig aus dem Tritt oder legten ihr Instrument für immer zur Seite. Diejenigen, die weiterspielen wollten, kamen völlig aus der Übung, weil keine Proben und Auftritte stattfinden durften. Die Auflagen für eine „Versammlung“, also in dem Fall Proben, waren in jener Zeit so aufwändig, sodass es schlicht unmöglich war, eine Bläserprobe abzuhalten, geschweige denn eine Gesamtprobe. Und wehe, einer wäre ohne Corona-Test oder gar nicht gekommen, weil er plötzlich Corona hatte und in Quarantäne war. Zudem kam, dass Berlin im Sommer 2020 als Corona-Hotspot galt und die bereits gebuchten Hotels in Süddeutschland für die Studioproduktion in Ludwigsburg den Check-in für die 50 Orchestermusiker verweigerten. Die Produktion musste also im letzten Moment auf 2021 verschoben werden.
Die Hoffnung war, dass bis dahin wieder Auftritte stattfinden durften, sodass die Musiker auf ihr altes Leistungsniveau kämen.
Trotz aller Hoffnung sah die Lage im Sommer 2021 nicht wirklich besser aus. Es galten immer noch sehr hohe Corona-Auflagen und massive Einschränkungen bei Versammlungen, sodass die Produktion erneut um ein Jahr verschoben werden musste.
Im Frühjahr 2022 sah die Lage schon etwas besser aus. Die Musiker durften unter bestimmten Auflagen seit Ende 2021 wieder ein paar Auftritte spielen, konnten also ihr Leistungsniveau wieder etwas steigern. Für die Studioproduktion galten aber immer noch und verständlicherweise hohe Auflagen, denn würde auch nur ein Musiker positiv auf Corona getestet werden und das Studio betreten, wären am nächsten Tag sowohl die Studiomitarbeiter als auch das ganze Orchester lahmgelegt und es würde auch noch eine längere Studio-Schließung mit sich bringen. Aber diese Auflagen sorgten natürlich auch dafür, dass Diederich für jeden Musiker einen Ersatz in der Hinterhand haben musste, falls doch einer kurzfristig ausfällt. Der geplante Start der Studioproduktion war nun der 22. Juli 2022.
Kaum war der bereits zwei Mal verschobene Studiotermin neu geplant und alle Einspielungs-Listen neu erstellt, Hotels, Catering und Flüge zum dritten Mal gebucht worden, dann der Schock: Das Orchester der Neuen Philharmonie Berlin verlor kurz nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht nur einige ihrer Musiker, die ihr Vaterland unterstützen, bzw. bei ihren Familien sein wollten, sondern vor allem ihren Proberaum in Berlin. Der von Dirigent Schulz angemietete Raum gehörte einer russischen Institution und die setzte das gesamte Orchester aufgrund einiger noch dagebliebener ukrainischer Musiker umgehend auf die Straße. Dieser Umstand zwang Diederich dazu, schnell nach einem anderen Orchester zu suchen, denn ohne Proben wollte sie nicht in eine Studioproduktion laufen. Zudem wusste niemand, wann und wo das Orchester einen neuen Proberaum finden würde. Die Proben sollten vor allem den Orchestermusikern dazu dienen, sich an Kopfhörer und Click zu gewöhnen, denn beides waren diese jungen, klassischen Musiker trotz ihres großen Talents nicht gewohnt und Schulz hatte zunehmend selbst Bedenken, das Orchester ohne Proben und Studioerfahrung in eine Produktion zu schicken.
Sie geriet zuerst an das Filmorchester Babelsberg, doch die waren für die anvisierte Studiozeit bereits verplant. Die Uhr tickte, nur noch zwölf Tage bis zum Studiotermin. Nochmal wollten Diederich und König diese Produktion aber nicht verschieben, denn die Jazzmusiker hatten diese Zeit bereits fest in ihrem Kalender eingetragen und auch die Verträge unterschrieben. Die aufwändige Suche nach Orchestermusikern, die nicht nur Click, Studio- und Kopfhörer-Erfahrung hatten, sondern auch noch mühelos zwischen einem klassischen Ansatz in einen jazzigen wechseln und auf Click spielen konnten, glich der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aber das hielt die Gründerin nicht davon ab, so lange weiterzusuchen, bis sie diese gefunden hatte.
Dem ganzen nicht genug, mussten kurz nach der Generalprobe der Rhythmusgruppe auch noch der Schlagzeuger und der Pianist ausgetauscht werden und das mitten in den Sommerferien und kurz vor der geplanten Produktion. Keine Frage, diese Zeit war nichts für schwache Nerven. Diederich sah die Produktion immer mehr schwinden, denn auch wenn sich noch Orchestermusiker, ein Schlagzeuger und ein Pianist finden lassen würden, wäre eine Probe schon aufgrund des kurzen Vorlaufs nicht mehr machbar, denn die müssten erstmal für sich selbst die Stücke üben. Die Schwierigkeit bestand also nicht nur darin, überhaupt Musiker für diese Zeit zu finden, sondern auch noch welche, die diese Musik spielen konnten und auch menschlich passten – und natürlich nicht in Quarantäne waren. Aber Diederich glaubte fest an eine glückliche Fügung und telefonierte sich Tag und Nacht durch sämtliche Orchester.
Im letzten Moment, also gefühlt ein paar Tage vor den Aufnahmen und viele, viele Telefonate später, sagte zuerst der estländische Pianist Kristjan Randalu zu, dann direkt danach der niederländische Schlagzeuger Wim de Vries. Die mit Preisen und Ehrungen für ihr Spiel ausgezeichneten und sehr sympathischen Musiker waren der erste Teil des Hauptgewinns für Latin-Jazz Sinfónica. Der zweite Teil war das von Bernd Ruf im Jahr 1999 gegründete GermanPops Orchestra, das für eine lange Erfolgsgeschichte steht und ebenso kurz vor der Produktion zusagte.
Vorausgegangen war ein Anruf beim Geschäftsführer der Bauer Studios, Michael Thumm, in dem Diederich verzweifelt erzählte, dass sie die Produktion absagen müsse, wenn sich nicht noch ein Wunder auftue, denn ihr fehle immer noch der sinfonisch besetzte Teil von LJS. Keine zehn Minuten später rief er zurück und empfahl ihr, sich mit Konzertmeister Uli Zimmer vom GermanPops Orchestra in Verbindung zu setzen, denn die wären genau das, was sie bräuchte. Ein Blick auf deren Website reichte, um zu verstehen, warum er sie empfahl: Sie spielten mit Paul McCartney // Jon Lord (Deep Purple) // Paul Carrack (Mike & the Mechanics) // Chris de Burgh // Roger Hodgson (Supertramp) // Chris Thompson (Manfred Mann´s Earth Band) // Roger Chapman // Geoff Whitehorn (Procol Harum) // Heinz Rudolf Kunze // Pur // John Miles // Fools Garden // Laith Al Deen // Paquito D´Rivera // Silje Nergaard // Dieter Falk // Sodagreen uvm. Sie las weiter, dass CD- Produktionen mit dem GermanPops Orchestra mit einer Grammy-Nominierung, einer Platin-CD und mehreren Gold-CDs ausgezeichnet wurden. Das war Rettung in letzter Minute.
Randalu und de Vries brachten enorm viel Studioerfahrung mit, aber auch reichlich Erfahrung mit Jazz, Weltmusik und Orchester, was für die Eigenkompositionen von Ch. König, Matthias Anton, Heiko Gottberg und Diederich enorm wichtig war. Vor allem auf die Orchestermusiker zu achten und genau hinzuhören, bzw. hinhören zu wollen, den Dirigenten im Blick zu haben und sofort auf Dynamik-Angaben zu reagieren, war eine wichtige Voraussetzung, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Die neuen Orchestermusiker brachten das ebenfalls mit, nur umgekehrt. Sie achteten auf die Jazzmusiker, klangen unglaublich kompakt, spielten rhythmisch voll auf den Punkt und was eine absolute Besonderheit war: sie groovten und das ist bei einem klassisch besetzten Klangkörper alles andere als selbstverständlich. Der Tipp von Michael Thumm war Gold wert. Trotzdem war die Anspannung am ersten Tag der Einspielungswoche ab dem 22. Juli 2022 groß, denn ins Studio kamen nur diejenigen rein, die negativ auf Corona getestet waren und da es im Vorfeld keine Probe gab, wussten die beiden Regieleiter König und Diederich nicht, wie sich die Kompositionen mit den neuen Musikern anhören werden. Kurzerhand wurde eine halbtägige Probe in den Bauer Studios abgehalten und schon die war so fantastisch, dass die Tonmeister diese heimlich mitschnitten.
Nach zehn Tagen war die Einspielung von „Kaleidoskop“ im Kasten, was für die hohe Professionalität aller Musiker sprach, denn jede Note, jede Artikulation und jede dynamische Vorgabe saß auf Anhieb. Aber die Woche war noch mehr: Alle Musiker wuchsen innerhalb kürzester Zeit zu einer Art Familie zusammen und schienen sich schon am ersten Tag nach dieser Produktion zu vermissen, denn der Gruppenchat von LJS quoll fast über. Die durchgehend aus Eigenkompositionen bestehende CD wurde von Andreas Schulz dirigiert, der auch den Klavierpart bei „Carissimo“ übernahm, was für dieses Werk einen zweiten Dirigenten notwendig machte.Der Wunsch, dafür den Gründer und Leiter des GermanPops Orchestra, Bernd Ruf, zu bekommen, ging leider nicht Erfüllung, aber er gab eine Empfehlung: Klaus Wilhelm. Der bekannte Musical-Dirigent hatte sich zwar gerade langsam in den Ruhestand verabschiedet, wollte Diederich den Wunsch aber nicht abschlagen, Carissimo noch zu dirigieren. Dieses Stück mit diesem Orchester und diesem Pianist zu erleben, war eine enorm ergreifende Erfahrung.Aufgenommen wurde das Album von Tonmeister Adrian von Ripka und Daniel Keinath und erschien beim Label „NEUKLANG“ der Bauer Studios.
Die neue Besetzung bestand nun aus den Tenorsaxophonisten der Jazzgroup, Matthias Anton, Holger Rohn und Andreas Pomp, den Posaunisten Ulrich Röser, Marc Roos und Fabian Beck und den Trompetern Christian Ehringer, Jens Müller und Ralf Hesse. Dazu das 30-köpfige GermanPops Orchestra, Kristjan Randalu und Wim de Vries. German Klaiber am E- und Kontrabass, Heiko Gottberg an der Gitarre, Maxim Zettel und Eduardo Mota an der Perkussion. Besonders Konzertmeister Uli Zimmer war eine Überraschung, denn nicht immer ist der Austausch zwischen Konzertmeister, Dirigent, Orchester, den Komponisten und dem Arrangeur so wunderbar einfach, klar, zielführend und vor allem herzlich. Uli Zimmer ist aber nicht „nur“ künstlerischer und musikalischer Konzertmeister, sondern organisatorischer Orchestermanager. Eine Doppelfunktion, die anderenorts getrennt ist.
Der Plan, im Spätsommer/Herbst 2023 mit der ersten Produktion „Kaleidoskop“ auf eine kleine Promo-Tour zu gehen, scheiterte an einer Corona-Infektion der Gründerin im März 2023, die neben den damals klassischen Symptomen, weitere hervorbrachte, aber zu jener Zeit noch unbekannt waren und deshalb noch nicht behandelt werden konnten. Jede noch so kleine Anstrengung führte anschließend zu einem Crash und wurde mit anschließendem Liegen im dunklen, schallisolierten Zimmer quittiert. Sitzen, stehen oder gehen ließen ihren Blutdruck in den Keller rauschen, was zu Ohnmachten führte und selbst kurze Gespräche oder leises Hören von Musik lösten massive Schwindelanfälle aus. Die Konzentration litt ebenso, sodass schon fünf Minuten am Rechner ausreichten, um noch mehr Schwindelanfälle zu bekommen. Die Sorge, aufgrund dessen das Orchester auflösen zu müssen und die GmbH zu schließen, wurde immer größer. Die Tour wurde auf 2024 verschoben, denn sie gab die Hoffnung nicht auf, bis dahin wieder gesund zu sein.
Diederichs Gesundheitszustand verschlechterte sich weiter, und statt einer Tour, plante sie November 2023 ein zweites Album aufzunehmen. Sie hatte schlicht Sorge, das Orchester aufgrund ihrer zunehmenden gesundheitlichen Probleme aufgeben zu müssen, bevor die neuen Stücke eingespielt werden konnten. Vor allem von, bzw. mit denselben Musikern, die auch „Kaleidoskop“ einspielten – bis auf eine Ausnahme: Statt des Perkussionisten Eduardo Mota kam die Vibraphonistin Salome Amend. König arrangierte zusätzlich den Titel „Jerusalem“ von M. Anton und „A thing of me“ von H. Gottberg und komponierte „Getting Better“ und „Nachtschicht“. Die neuen Stücke beinhalteten Elemente aus der spätromantischen Orchesterliteratur, Jazz, Rhythmen aus dem Orient und von Kuba, elektronische Clubmusik und Sounds aus der modernen Filmmusik. Dass ihr dieses Album besonders wichtig war, war ihr deutlich anzumerken.
Movie Sinfónica wurde, wie geplant, Ende November 2023 aufgenommen und von Bernd Ruf dirigiert. Ruf zählt zu den Pionieren im Bereich Classical Crossover. Schon 2001 für eine Orchesterproduktion mit dem kubanischen Jazzmusiker Paquito D’Rivera als Dirigent für einen Grammy nominiert, verfolgt er über mehr als drei Jahrzehnte sein musikalisches Credo, verschiedene musikalische Genres und Kulturkreise zusammenzuführen. Seine große Erfahrung sowohl im Jazz als auch in der Klassik war sofort zu spüren. Besser konnten Dirigent und Kompositionen nicht passen. Die den Musikern auf den Leib geschriebenen Stücke, hatten genau die Strahlkraft, Dichte, Tiefe und Weite, die sich Diederich und König wünschten. Doch Diederich verzögerte die Veröffentlichung, die eigentlich auf August 2024 geplant war, um ein Jahr auf Ende August 2025. Der Grund: Eine völlige Erschöpfung ihrer Mitochondrien, was ihr mit der unmissverständlichen Ansage, alle Tätigkeiten sofort einzustellen, Ende 2023 erstmals diagnostiziert wurde. Im Frühjahr 2024 kamen noch Knochenmarkentzündungen und eine Autoimmunerkrankung hinzu. Letzteres zwang sie dazu, die Tour komplett abzusagen, denn die verursachte, dass sie weder Arme noch Beine bewegen konnte. Mit den steigenden Entzündungswerten stieg auch die Sorge, die CD überhaupt noch fertig zu stellen und herausbringen zu können.
Und wieder schien es kein Zufall gewesen zu sein, dass etwas verschoben werden musste, denn in ihren Augen fehlten auf dem Album ohnehin noch zwei Stücke. Welche, wusste sie nicht, sie spürte nur, dass die beiden Nummern auf den richtigen Moment warteten, um sich an die Oberfläche schieben zu können. Ende 2024 war dieser Moment da und „Aria“ und „Dolce Vita“ entstanden. Aria in enger Zusammenarbeit mit ihrem geschätzten Kollegen Christoph König, denn inzwischen konnte sie gar keine Geräusche mehr ertragen. Statt am Flügel den Klavierpart für „Aria“ zu schreiben, schrieb sie die Noten direkt aus dem Kopf in das Notationsprogramm. Januar 2025 kamen dann alle nochmal in die Bauer Studios, um die beiden Stücke einzuspielen. Diederich saß währenddessen zuhause und konnte die Aufnahmen nur über den Bildschirm ihres Rechners mitverfolgen, denn nach unzähligen Untersuchungen wies ein auf Covid spezialisierter Arzt bei ihr Post Covid nach. Um den Songtext zu „Aria“ zu schreiben, brauchte sie wenig zu hören, da reichten ihr die Noten und das, was in ihr vorging.
Dirigent Bernd Ruf konnte für den Gesang noch die Mitglieder des Staatsopernchors Stuttgart und die des SWR Vokalensembles Stuttgart gewinnen. Auch diese Einspielung verfolgte Diederich nur aus der Ferne am Rechner. Sowohl Diederich als auch König, ihre langjährigen Kollegen aus der Jazz-Group und das Orchester bangten um die Zukunft des Orchesters, gaben die Hoffnung aber nicht auf, dass sich alles noch zum Guten wendet. Die Aufnahmeleitung der Chöre und das Mixing übernahm Tonmeister Martin Dressler aus den Bauer Studios, dirigiert wurden sie von Bernd Ruf. Im Anschluss wurden alle Stücke von November 2023 und auch die neuen Stücke nochmal von Martin Dressler und ab Mai 2025 zusammen mit Diederich gemischt, da sie einen ganz bestimmten Sound im Kopf hatte und glücklicherweise wieder etwas stabiler war. „Wo Movie Sinfónica draufsteht, muss auch Movie Sinfónica drin sein“. Damit war klar, was ihr vorschwebte: Ein musikalisches Kopfkino-Erlebnis. Nach ein paar Takten sollten also Filme in den Köpfen der Zuhörer entstehen. Zudem wollte sie MOVIE SINFÓNICA in Dolby Atmos, wozu alles nochmal gemischt werden musste. Die VÖ für August `25 konnte nicht gehalten werden, da das Album insgesamt dreimal gemischt wurde und das Ganze bekam einen neuen Termin: 05.12.2025.
Die Stücke spannten nun einen großen, musikalischen Bogen von Jazz bis Weltmusik über moderne, klassische Werke und Filmmusiksounds, die durch die Handschrift von Christoph König und Julia Diederich alle miteinander verbunden wurden. „Jetzt haben wir es geschafft“, meinte sie zu König, „endlich steht das Orchester ARCO SINFÓNICA für eine Musik, die sowohl Jazzfans als auch Liebhabern von klassischer Musik vertraut vorkommt, sie inspiriert und die für einen neuen Orchestersound steht“.
Bevor also alles ins Presswerk ging, musste aber noch der Orchestername geändert und ein neues Logo dazu geschaffen werden, denn „Latin-Jazz Sinfónica“ passte definitiv nicht mehr zur Musik. Arco – Bogen – Sinfonie – Sinfónica – Arco Sinfónica. Perfekt. Jetzt stimmten Name und Inhalt überein.
Gut, dass Diederich schon länger über einen geeigneten Namen nachdachte, denn schnell erledigt sich eine Umbenennung bei einer GmbH nicht. Dass sie noch rechtzeitig das Layout für die CD und die LP fertigbekam, stellte sie nun nicht mehr in Frage, denn ein auf Post Covid spezialisierter Arzt, der sie ab Januar 2025 behandelte, versorgte sie mit Medikamenten, die Monate später langsam eine Besserung brachten, aber vor allem hatte ihre Hausärztin Mai 2025 eine zündende Idee, endlich den Schwindelattacken, der ausgeprägten Schwäche nach geringer Belastung und dem übersensiblen Nervensystem beizukommen. Keine zwei Wochen später ging es ihr so gut, dass sie wieder länger am Schreibtisch sitzen und wieder leise Musik hören konnte. Zusammen mit Grafikdesigner Jonathan Kleczkowski gestaltete sie das Booklet fertig. Die Texte hatte sie schon in der Zeit geschrieben, als sie die Stücke komponiert hatte.
Im August 2025 war dann die „Weltmusik-Suite in 3D“, wie Diederich das Ergebnis nannte, bereit für die Reise ins Presswerk und auch das Veröffentlichungs-Datum musste nicht nochmal verschoben werden. Alle atmeten erleichtert auf.
„Wenn man sich die Historie von Arco Sinfónica ansieht, weiß man, dass es keine Zufälle gibt, sondern alles einer Art persönlichem Drehbuch folgt. Alles kommt so, wie es kommen muss, denn dadurch öffnen sich immer wieder neue Türen und machen neuen Erfahrungen Platz“.
Julia H. M. Diederich
„Die Musik von Arco Sinfónica ist gleichzeitig Erlebnisträgerin und Produzentin neuer, innerer Filme.“